22.9.2025 | Pressemeldung

Ambulante Versorgung unter Druck: Private-Equity-Gesellschaften rasant auf dem Vormarsch

Gemeinsame Presseinformation von: Kassenärztlicher Vereinigung Bayerns (KVB), Bayerischer Landesärztekammer (BLÄK), Bayerischem Hausärztinnen- und Hausärzteverband e.V. (BHÄV), Dachverband Bayerischer Fachärztinnen und Fachärzte e.V. (DBFF), Sozialverband VdK Bayern e.V. (VdK), Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf)

Was viele Expertinnen und Experten im Gesundheitswesen lange befürchtet haben, ist nun belegbar bittere Wahrheit. So zeigen aktuelle Analysen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB): Hunderte Arztpraxen wurden allein in den vergangenen Jahren in Bayern von Private-Equity-Gesellschaften aufgekauft und in größere Ketten überführt. Ihr Ziel: Gewinnmaximierung und aggressive Erwirtschaftung von Renditen von 15 bis 20 Prozent innerhalb weniger Jahre. Die ambulante Gesundheitsversorgung und das Wohl der Patientinnen und Patienten wird so zum Spielball von internationalen Private-Equity-Gesellschaften – und gerät zu Gunsten von aggressiven Buy- and Sell-Strategien ins Hintertreffen.

Diese nie da gewesene Entwicklung alarmiert die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, die Bayerische Landesärztekammer, den Bayerischen Hausärztinnen- und Hausärzteverband, den Dachverband Bayerischer Fachärztinnen und Fachärzte, den Sozialverband VdK Bayern sowie den Verband medizinischer Fachberufe.

Dabei fällt auf: Insbesondere Fachgruppen mit hohem Geräte- und Technikeinsatz, bei denen sich potenziell die größten Profite erwirtschaften lassen, sind für Private-Equity-Investoren interessant. Besonders beunruhigend ist die Entwicklung in der Radiologie, wo seit dem Jahr 2021 rund 90 Prozent aller Akquisitionen von Praxen auf Investorengruppen entfallen. Auch die Augenheilkunde verzeichnet eine beispiellose Konsolidierung: Inzwischen gehören bundesweit über 500 augenärztliche Praxen zu internationalen Private-Equity-Ketten. Das sind dreimal so viele wie noch vor drei Jahren. In einigen Regionen Bayerns dominieren bereits von Private-Equity-Investoren kontrollierte MVZ und Praxen die Versorgung – in einzelnen Städten wurden sogar monopolartige Strukturen festgestellt.

Bei den fachübergreifenden MVZ steckt in Bayern hinter jedem fünften MVZ mittlerweile eine Private-Equity-Gesellschaft. Vor 5 Jahren waren es lediglich 9 Prozent. Der Anteil hat sich damit mehr als verdoppelt!

Neben der fachärztlichen Versorgung haben Private-Equity-Investoren aber auch die hausärztliche Versorgung für sich entdeckt – mit gravierenden Folgen für die Patientinnen und Patienten: So werden beispielsweise zeitintensive Hausbesuche oder präventive Gesundheitsuntersuchungen in Hausarzt-MVZ, die von Private-Equity-Investoren betrieben werden, seltener durchgeführt als in traditionellen Hausarztpraxen (die vor Ort oft persönlich durch niedergelassene Ärzte geführt werden). Ähnliches gilt für die kontinuierliche Betreuung chronisch kranker Patienten, die unter betriebswirtschaftlichem Druck leicht ins Hintertreffen gerät.

Zudem müssen Patientinnen und Patienten, die in einem von Private-Equity-Investoren betriebenen Hausarzt-MVZ behandelt werden, auffallend häufig zusätzlich weitere Hausärzte aufsuchen, um alle benötigten Leistungen zu erhalten – ein deutliches Warnsignal für Lücken in der Versorgungskontinuität.

Eine weitere bittere Erkenntnis: PEG-MVZ und -Praxisketten konzentrieren sich überproportional auf urbane Ballungsräume und wirtschaftlich attraktive Gegenden. So befinden sich fast die Hälfte aller MVZ in Deutschland in Großstädten (Kernstädten), weitere rund 39 Prozent in mittleren Zentren. In ländlichen Regionen, wo die Großzahl an Versorgungsengpässen auftritt, befinden sich hingegen lediglich 15 Prozent der PEG-MVZ und -Praxisketten.

Der ärztliche Nachwuchs kann mit den Kaufpreisen für Abgeberpraxen von PEG-Ketten nicht mithalten und wird in manchen Fachrichtungen zunehmend zur Anstellung in solchen Einrichtungen gezwungen. Den Patientinnen und Patienten entschwindet somit zunehmend die Wahl zwischen arztgeleiteten Praxen und MVZ und verstärkt auf Gewinnmaximierung basierenden Versorgungsangeboten.

Auch Berichte von Ärztinnen und Ärzten, die in PEG-MVZ gearbeitet haben, sind regelrecht erschütternd. Sie konnten sehen, wie gesunde Patientinnen und Patienten auf dem Operationstisch landeten, Prämien für gewünschte Indikationen bezahlt und wie ganze Patientenkreise, insbesondere chronisch Kranke, aufgrund ausschließlich ökonomischer Logiken „aussortiert“ wurden und wie Hausbesuche in einem solchen Umfeld kaum noch stattfinden. Mehr dazu finden Sie unter: KVB-FORUM-Berichte von PEG-Ärzten

Die Politik muss nun endlich Worten Taten folgen lassen: Es braucht klare Reglementierungen für PEG-MVZ, die über das im Koalitionsvertrag Angedachte hinausgehen müssen, um eine am Patienten ausgerichtete ambulante Versorgung auch künftig zu garantieren. Wir fordern daher:
  • Stärkung der ärztlichen Unabhängigkeit: Schutz der Therapiefreiheit vor sachfremden Einflüssen
  • Transparenz und Kennzeichnungspflicht: Gewährleistung der freien Arztwahl
  • Verhinderung von Monopolstellungen: Erhalt einer pluralen Versorgungslandschaft
  • Stärkung der selbstständigen Freiberuflichkeit: Vorfahrt für die Niederlassung
  • Stärkung der Kassenärztlichen Vereinigungen: Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten bezogen auf Eigeneinrichtungen
  • Rechtliche Gleichstellung: Anwendbarkeit der Disziplinarordnung der KV für MVZ-Rechtsträger
  • „Eignungsprüfung“ durch die Zulassungsgremien: Prüfmaßstab ist, ob das MVZ fähig ist, eine ordnungsgemäße Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu gewährleisten
  • Verbot von Private-Equity-Übernahmen: Unterbindung des fremdkapital-getriebenen Aufkaufs von Praxen
  • MVZ in Händen von Vertragsärztinnen und -ärzten: Die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte stehen Ärzten zu.

Ergänzender Kommentar von Patricia Ley, vmf-Vizepräsidentin:

Der Verband medizinischer Fachberufe e.V. (vmf) hat die o. a. gemeinsame Pressemitteilung zur zunehmenden Einflussnahme von Private-Equity-Gesellschaften auf die ambulante Versorgung mitunterzeichnet. Auch wenn die darin formulierten Forderungen vorrangig aus ärztlicher Perspektive formuliert wurden, teilen wir diese inhaltlich. Nicht zuletzt, weil die beschriebenen Entwicklungen auch erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt der Medizinischen Fachangestellten (MFA) haben.

MFA zwischen persönlicher Praxisnähe und wirtschaftlichem Druck

Die MFA befinden sich in einem Spannungsfeld: zwischen traditionellen, ärztlich geführten Praxen mit flachen Hierarchien und persönlichem Bezug; zunehmend aber auch in standardisierten Strukturen und investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ). Während klassische Praxen oft eine familiäre Atmosphäre bieten, erleben MFA – vor allem in MVZ, die von Private-Equity-Gesellschaften geführt werden - eine stärkere Orientierung an betriebswirtschaftlichen Vorgaben. Diese Entwicklung geht nicht selten mit wachsender Arbeitsverdichtung, geringem Handlungsspielraum und einem spürbaren Leistungsdruck einher. Im Gegenzug bieten sie aber bedingt stabilere Gehaltsstrukturen und Karrierechancen.

Die immer komplexeren Anforderungen der Gesellschaft, des Wettbewerbes und des Gesetzgebers stellen ständig neue Herausforderungen an die Medizinischen Fachangestellten. Dabei stehen die Patientinnen und Patienten und deren zielorientierte, individuelle ärztliche Behandlung im Krankheitsfall bzw. die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Eine Ausrichtung des Leistungsangebotes eines iMVZ, welches sich auf einen wirtschaftlichen Ertrag ausrichtet und nicht an Leitlinien-gerechten entsprechenden Diagnostik- und Therapiekonzepten, präventiv sinnvollen Leistungen, einer Verbesserung der rehabilitativen Situation bzw. am Bedürfnis und Gesundheitsbewusstsein von Patientinnen und Patienten, können wir nicht im Kontext unserer ethischen Selbstverpflichtung mit stützen.

Wir möchten deutlich machen, dass die Rolle der MFA in beiden Versorgungsmodellen sichtbar und gestärkt werden muss. Dazu gehören:
  • Der Schutz der Therapiefreiheit. Er führt zu einem geringeren wirtschaftlichen Druck auf die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Für die MFA bedeutet dies stabilere und verlässlichere Arbeitsbedingungen, die mit ihrem beruflichen ethischen Selbstverständnis übereinstimmen.
  • Mehr Transparenz und eine freie Arztwahl. Sie tragen dazu bei, dass Patientinnen und Patienten besser informiert sind. Dadurch entstehen im Praxisalltag weniger Konflikte und Missverständnisse für die MFA.
  • Die Verhinderung von Monopolstrukturen und die Sicherung einer Vielfalt an Praxen. Sie gewährleisten wohnortnahe Arbeitsplätze und schaffen für MFA verschiedene Arbeitgeberstrukturen.
  • Karrierechancen und bessere Arbeitsbedingungen. Die theoretischen Vorteile von MVZ gegenüber klassischen Einzel- oder Gemeinschaftspraxen liegen in den größeren Strukturen und vielfältigeren Versorgungsbereichen. Insbesondere MFA könnten hier verbesserte Karriereperspektiven und finanziell attraktivere Arbeitsbedingungen vorfinden. So bieten MVZ grundsätzlich mehr Raum für den Einsatz von Fortbildungsabschlüssen, etwa als Fachwirt:innen im Gesundheitswesen und damit verbundene Aufstiegsmöglichkeiten. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Aus Berichten und Rückmeldungen wird deutlich, dass diese Vorteile nicht realisiert werden. Statt spürbarer beruflicher Entwicklung oder besserer Bezahlung erleben MFA in MVZ vielmehr strukturelle Unsicherheiten, nicht gezahlte Gehälter und eine gefährdete Patientenversorgung, einhergehend mit dem Verlust der Arbeitsstelle. Eine tatsächliche Besserstellung gegenüber MFA in klassischen Praxen konnte bisher nicht belegt werden, ebenso wenig eine Schlechterstellung in iMVZ. Aus unserer Perspektive stellen Inhabergeführte MVZ für Patienten und Mitarbeitende eine Alternative zu iMVZ dar. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und gelebter Realität macht deutlich, dass politische Maßnahmen notwendig sind, um die Arbeitsbedingungen von MFA, insbesondere in iMVZ, nachhaltig zu verbessern. Werden zudem die Handlungsmöglichkeiten der Kassenärztlichen Vereinigungen bezogen auf Eigeneinrichtungen erweitert, so können zusätzlich neue Arbeitsplätze und Berufsperspektiven für MFA entstehen.
Diese Aspekte dürfen nicht unberücksichtigt bleiben, wenn über die Zukunft der ambulanten Versorgung diskutiert wird.

Die Forderung nach einer patientenzentrierten Versorgung betrifft alle Gesundheitsberufe gleichermaßen. Eine Versorgung, die sich ausschließlich an Renditen orientiert, gefährdet nicht nur die ärztliche Therapiefreiheit, sondern auch die Arbeitsbedingungen und die Berufszufriedenheit der MFA und letztlich die Qualität der Versorgung selbst.
Wir sehen es daher als unsere berufspolitische Verantwortung, die Positionierung mitzutragen, verbunden mit der klaren Erwartung, dass künftige Reformen und Maßnahmen auch die Interessen und die Arbeitsrealität der Medizinischen Fachangestellten stärker in den Fokus nehmen.

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